Sonntag, 8. Januar 2017

Familie Heinrich, 1949 - 1989 in Buchholz, Serwest, Barnim, Deutschland



Mein Großvater Andreas Heinrich besuchte nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft 1949 gelegentlich seine Geschwister mit ihren Familien, die nach Ende des zweiten Weltkrieges geflüchtet und nun im niederen Fläming lebten. Das war glücklicherweise nicht so weit von Saarmund, wohin es meine Großmutter 1945 nach der Flucht hinverschlagen hatte. Großvaters Geschwister wussten, dass er im Gegensatz zu meiner Großmutter nicht in Saarmund bleiben wollte, denn sein Wunsch nach einem erneuten eigenen Hof war sehr groß.

Eines Tages erzählte ihm eine Nichte, dass eine Siedlerstelle in Buchholz bei Serwest frei geworden wäre. Der Eigentümer war in den Westen geflohen. 

Buchholz, die ehemalige Gutssiedlung, die im 13. Jahrhundert zum Domänenamt und Kloster Chorin gehörte, hatte ehemals ein Vorwerk und betrieb eine größere Schäferei. Dann lag es teilweise wüst. Seit 1860 gab es eine Kartoffelspritbrennerei. Das Gut gehörte 1949 Herrn Lindenberg. Seine Gattin war bereits verstorben. Sie hatten zwei Töchter. Die ältere heiratete einen Herrn Hohenholz. Die Ehe blieb kinderlos. Zu dem Gutshaus gab es einen kleinen Friedhof auf der Anhöhe. Der Ort selbst lag fernab der Hauptstrasse.

1949 lebten dort die Familien Beuster, Finow, Friedrich, Gottschalk, Hopke, Jäger, Jesse, Jonas, Kallm(n)bach, Krause, Kluge, Kressin, Lange, Litkowski, Orlowski, Peters, Runnewitz, Syska, 
Warnow 2 Familien, Wolter, Zickesch.

Viele davon waren Flüchtlinge, Integration fiel deshalb leicht. Niemand fragte woher man kam .

Im Herrenhaus lebte auch der alte Schäfer, unter dessen Fenster eine Bank stand. Hier war zudem eine Rampe und eine Linde. Es war der Treffpunkt der Dorfjugend und der Schäfer kippte Wasser aus dem Fenster, wenn es ihm zu laut wurde.

Es gab die Brauerei, kurzfristig einen Konsum - ging dann nach Serwest, 1 Haus mit 4 Familien, 4 Schnitterhäuser aus rotem Stein mit eigenem Hauseingang, insgesamt wohl 13 Häuser. Die evangelische Kirche und die Schule waren in Serwest. Dorthin liefen die Kinder täglich bei jedem Wetter zu Fuß.

Mein Großvater bewarb sich um diese Siedlerstelle in Buchholz und wurde genommen. Allerdings war das kleine Bauernhaus noch im Rohbau ohne Dach, so daß man noch nicht einziehen konnte. Deshalb kam die Familie im Februar 1949 erst im Herrenhaus im 1. Stock unter. Die ehemalige Herrschaftsküche war im Keller. Hier wurde z.B. Sirup gekocht. Frau Hohenholz war so freundlich meiner Oma Geschirr zu schenken.




Dann wurde eine Wohnung in einem Schnitterhaus in der Nähe des Rohbaues frei und Heinrichs zogen um und blieben dort, bis das eigene Heim fertig war. Aber das dazugehörige Feld musste gleich bestellt werden und die Heinrich Kinder mussten egal welchen Alters sofort auf dem Feld helfen.






Heinrichs hatten 5 Kinder, welche nach der Schule sofort helfen mussten und kaum Zeit zum Essen hatten, geschweige denn zum spielen. Meine Mutter war die Älteste und ging von Februar 1949 bis Mai 1949 in die Schule in Serwest. Es gab dort zwei Klassen : 1.-4. und 5.-8. Klasse. Ein Lehrer hieß Wagner. Er wollte später das Mutti in die FDJ eintritt und in Angermünde in seinem Büro arbeitet, denn er war neben dem Beruf des Lehrers auch FDJ Leiter.









Mit 14 Jahren war Schulende und sie sollte auf Anraten des Pfarrers und des Lehrer schulisch weitermachen, sie kamen zu Opa nach Hause um dies vorzuschlagen, aber Opa hat die beiden rausgeschmissen und gesagt es wäre seine Entscheidung, da man sie auf dem gerade übernommen Hof unbedingt bräuchte. So übernahm sie Arbeit in Haus und Hof und besuchte in Serwest die Berufsschule. In der erhielt sie eine Urkunde für die beste Schülerin des "Lernaktives". Sie konnte ebenso wie ihr Vater sehr gut rechnen.



 


Mit Gründung der LPG'S ab 1952 als "freiwilliger" Zusammenschluss von Bauern veränderten sich die Lebensumstände drastisch. Die Eigentümer durften zwar auf Grund- und Boden verbleiben, als Verschärfung folgte dann die Zwangskollektivierung. Mein Großvater war auch ein anerkannter Fleischbeschauer und konnte sehr gut rechnen. Er soll als letzter in die LPG eingetreten sein mit der Bedingung, das meine Großmutter nicht mehr mit auf das Feld mußte. Auch er erhielt eine Urkunde für die Prämierung der Tiere. Die Zeitschrift der Freie Bauer wurde sorgfältig als Toilettenpapier zerschnitten und fand so die bestmögliche Verwendung.




Herrn Lindenberg, der als Gutsherr sehr viel zu verlieren hatte, ging mit seinem Stock auf die Felder und schrie seinen Ärger und seine Wut über die Enteignung hinaus. Er starb wohl 1950.






Im Januar 1953 ging sie in Angermünde mit Freundin Lilo tanzen, diese hatte die Hand verbunden. Mein Vater war zu dieser Zeit in Pinnow stationiert und wollte erst Freundin Lilo zum tanzen auffordern, so forderte er aber meine Mutter auf. Im April 1953 hat mein Vater dann meine Mutter und ihre Freundin Lilo in Buchholz zum tanzen abgeholt und im April 1954 haben meine Eltern in Serwest geheiratet.

Nun erlaubte mein Großvater auch, dass meine Mutter einer anderen Tätigkeit nachging. So kam sie im Juni 1953 zur Zentralstelle für Tierzucht in Eberswalde als Leistungsprüferin. Sie testete einmal die Woche den Fettgehalt der Kuhmilch (3,5 %) und erstellte den Ertrag der Kühe. Das Labor war in Chorin und sie fuhr z.B. im Dunkeln im Winter, selbst wenn Eis lag, mit dem Fahrrad an die verschiedenen Stellen. Die Büroarbeit erledigte sie zu Hause. Ihr Bereich waren die Orte Groß-Ziethen und Senftenhütte.






Jährlich im März gab es Maskenball, Tanz in den 1. Mai und das Erntefest in Serwest, immer wurde getanzt, z.B. bei Hindenburg ein Lokal in Serwest. Jugendliche durften nicht herrein und sind durch das Fenster eingestiegen, wurden aber ausgemacht und wieder rausgeschmissen. Es gab noch ein anderes Lokal in Serwest, in dem getanzt wurde. Von Chorin kommend gleich am Ortsanfang auf der linken Seite, später vorübergehend ein Fischgeschäft. Hier war mein Großvater jeden Mittwoch nach dem Schweine taxieren eingekehrt. Wenn er heimkam nannten die Kinder das "am Mittwoch ist der Himmel blau". Mutti ging mit 16 Jahren das erste Mal dort zum Tanzen.

Mein Vater war verarmt, aber meine Mutter hatte in kurzer Zeit 2000 Mark angespart, wovon sie u.a. das Hochzeitskleid und ein paar Stiefel bezahlen konnte. Das Kleid nähte eine Dame aus Serwest. Als Mitgift bekam sie 3000 Mark, da sie in den langen Jahren zu Hause ohne Lohn gearbeitet hatte.

Ihre 3 Brüder lernten später Handwerksberufe in Britz im Eisenwerk, mussten täglich 3 km zum Bahnhof in Chorin, die einzige Schwester ging als gute Schülerin nach Joachismtal in's Internat, wo sie ihren späteren Mann kennen lernte.















































Nach der Verheiratung meiner Mutter 1954 war sie gelegentlich in Buchholz bei zu Besuch. Als wir Ende 1959 nach Westdeutschland flüchteten, war der erste Besuch in Buchholz 1967, der zweite 1973/4, der dritte 1983. Weitere dann erst wieder nach 1990.

Mein Großvater verstarb im Dezember 1989 und hat die Grenzöffnung kaum mehr realisiert. Meine Großmutter verstarb in den 90ern. Sie wurde vorher wieder als Eigentümerin für den Hof eingetragen, aber keiner der Kinder hatte Interesse diesen zu übernehmen. Alle 5 hatten eine unangenehme Erinnerung an die Zeit in Buchholz. Sie fühlten sich dort nie zu Hause, erzählten stets von Saarmund. So wurde der Hof verkauft. Ich möchte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn in den 90ern zuletzt sah.



spree_kind@web.de


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